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-minu

DIE ROSA
SEEKUH

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Alle Rechte vorbehalten

© 2019 Friedrich Reinhardt Verlag, Basel

Lektorat: Beatrice Rubin

Cover und Layout: Franziska Scheibler

eISBN 978-3-7245-2380-2

ISBN der Printausgabe 978-3-7245-2361-1

Der Friedrich Reinhardt Verlag wird vom Bundesamt für Kultur mit einem Strukturbeitrage für die Jahre 2016–2020 unterstützt.

www.reinhardt.ch

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Inhalt

Vorwort

Prolog

Rosa Seekuh

Geburt am heissesten Hundstag

Die Freundinnen

Das uneheliche Kind

Mésalliance

Carlottas Ausbruch

Eine echte und eine falsche Grossmutter

Der unbekannte Grossvater

Die Marschallin

Zuckererdbeeren und Klunker

Das Schloss

Gespreizte Beine

Grossväter im Sarg

Engel im Traum

Sport und Zinn

Hochzeit mit Essmarken

Ein Anruf ändert alles

Die Bergsucht von Karl

Friedhof und Ménage-à-trois

Einfach nur das Beste!

Genuss zum Gruss

Zum ersten Mal verführt

Keine Politik – nur Küsse

Cannabis und verbotene Bars

Polizei im Haus

Die Dragqueen

Alfs Stunde

Das Haus in den Bergen

Ballett-Erfahrung

Die Wahlschwester

One-Night-Stands und mehr

Erste Zeitungsberichte und Lehrerneid

Keine Matur

Gras drüber wachsen lassen

Die erste Journalistenschule

Der gewiefte Verleger

Börsenkurse

Park, Sauna und China

Börsenkurs mit Pointe

Klatsch dank Markknochen

Fliegerstaffel 3

Frikadellen zum Weihnachtsfest

Heimischer Klatsch aus dem Ausland

Carlottas Reisepläne

Süsses in Paris

Le petit Suisse sucré

Die Überraschung

40 rue Saint-Paul

Wieder Kroketten

Abschied von Paris

Unabhängigkeit und Selbstverantwortung

My Name is Linda

Begegnung im Minijupe

Kaffee auf dem Teppich

Alles geheim

Als Linda zum ersten Mal starb

Dietrich stellt sich vor

Promi-Interviews

Die Nacht mit Nurejew

Karls grosser Geburtstag

Der alte Turm

Bar Centrale

Diskriminiert!

Der italienische Professor

New York

Die Kerzen von Bethlehem

Heiratspläne – aber anders

In der Sowjetunion abgeführt

Schlittenfahrt zum Baikalsee

Fichiert und denunziert

Der Zauber mit der Kocherei

Aus die Maus!

Im Koma

Das Ende von Carlotta

Zimmer 302

Die Hochzeit

Bitte keine Erika!

Chalet zu verkaufen

Mann für alles

Die Häuser

Filme und Alter

Epilog

Personen

Vorwort

Eigentlich wollte ich dieses Buch schon vor 20 Jahren schreiben. Es kam immer etwas dazwischen und es kamen auch immer neue Geschichten hinzu.

Ich wollte einfach mal aus dem täglichen Kolumnentrott ausbrechen. Und versuchen, etwas Längeres auf die Reihe zu kriegen. DIE SACHE WURDE SCHWIERIGER, ALS ICH DACHTE. Bücher zu schreiben iste i n eSache. Kolumnen eine andere. Ich bin seit diesem Experiment voller Bewunderung für Buch-Autoren. UND ZIEHE DEN HUT …

ES WURDEN VIELE BÜCHER VON MIR GEDRUCKT. Aber ich habe nie eines geschrieben. Verleger haben meine Geschichten gesammelt. Und sie in einem Buch zusammengeschweisst. MEHR WAR DA NICHT.

DIE «ROSA SEEKUH» IST EIN ROMAN. Anders gesagt: alles zusammengelogen. Erfunden. Spintisiert. Fiktionales Schreiben eben … NATÜRLICH HAT ES AUTOBIOGRAFISCHE MOMENTE. Das dann schon. Aber ob Hirngespinste oder Realität – das sollte den Leser gar nicht interessieren.

Er soll einfach eintauchen – in ein Leben, das rosig begann.

Aber nicht immer nur rosa war.

-minu, Wien im März 2019

Für Christoph

Prolog

Es riecht nach Reinigungsmitteln. Nach Medizin. NACH SPITAL.

Pflegepersonal hastet vorbei. Leute hocken auf Stühlen. Sie starren stumpf vor sich hin.

Ich warte auf den Professor.

Gestern hat er mich untersucht. Hat meinen Rachen ausgeleuchtet. Und die Temperatur gemessen. 40 Grad! Dazu Schluckschmerzen. Ich bekomme kaum einen Tropfen Wasser runter.

Die Antibiotika hatten nichts gebracht.

Felix, mein Hausarzt, schüttelt alarmiert den Kopf:

«Andrea, wärst du nicht schon bald 70, würde ich sagen:

Das sieht verdammt nach einem HI-Virus aus.»

Er schaut mich unsicher an: «Du hast doch nicht etwa …?

Ich zögere einen kurzen Moment: «Nein. Natürlich nicht …»

Vermutlich zögerte ich einen Atemzug zu lange.

«Mein Gott – du blödes Huhn!», stöhnt er. Und: «… nichts wie ab ins Spital!»

Der Professor fühlt mir dort ebenfalls auf den Zahn: «Wann? Mit wem? Geschützt? …»

Was bringt das alles? Ich schäme mich. Sage kein Wort mehr.

«Andrea, HIV bedeutet heute kein Todesurteil mehr …», seufzt der Arzt nun. «Mit der richtigen Therapie bekommen wir alles in den Griff – die Medizin ist sehr weit voran. Gottlob sind Sie sofort zu uns gekommen!»

Er zieht eine Spritze auf: «Die Halsschmerzen werden innert 48 Stunden vorbei sein. Das Fieber auch. Morgen kann ich Ihnen mehr sagen … ob es überhaupt ein HI-Virus ist … und mit welchen Pillen wir therapieren wollen …»

Ich hoffe noch immer.

Und tröste mich mit dem Satz, mit dem mich auch Tante Esmeralda stets getröstet hat: «Die Dummen hat Gott lieb!».

Ein Leben lang habe ich Glück gehabt – ein rosiges Leben eben.

Jetzt hocke ich also in diesem langen, grauen Spitalgang, an dessen Fenstern Traurigkeit klebt. Und selbst die Sonne kein fröhliches Lachen reinzaubert.

Dietrich sitzt neben mir. Nicht etwa, dass er meine Hand hält.

Er ist nicht der Typ dafür.

Aber er ist da. Das zählt. Er ist seit einem halben Jahrhundert für mich da.

Ich habe noch immer Fieber. Und die Halsschmerzen haben nicht aufgehört.

An der Ecke ist ein Zimmer, wo sich jeder zurückziehen kann. Ein Ort für stille Gebete. Es gibt keine Unterschiede zwischen Muslimen, Christen, Juden – man kann einfach da sein. Und bei seinem persönlichen Gott den Frust loslassen.

«Mach’ dass es gut wird …», flüstre ich zu meinem. Er hängt gekreuzigt über einer Kerze, deren Docht am Erlöschen ist.

Ich rede viel zu IHM. Reden nach oben hilft immer. Fast immer.

Der Professor kommt jetzt auf mich zu. Er gibt mir die Hand, die er vorher unter dem blauen Spritzapparat sterilisiert hat. Dann öffnet er die Türe zu einem der Sprechzimmer: «Kommen Sie bitte …»

Er blättert in weissen Blättern. Es sind ausgedruckte Papiere, welche über meine Zukunft bestimmen werden.

Dann schaut er auf: «Also …»

Ich merke, wie sich alles um mich dreht. Immer schneller. Wie ein verrückt gewordenes Karussell.

Und: «…was auch passiert, die Welt dreht sich immer weiter», denke ich.

«Also …», sagt der Professor noch einmal.

Rosa Seekuh

Ich kam rosa zur Welt.

In meiner Stadt war das so: Frischgeborene Buben wurden rosa verpackt. Mädchen himmelblau. Auf dem Rest des Planeten machten sie’s andersrum.

ABER IN MEINER STADT TICKTE STETS ALLES EINEN ZACKEN VERKEHRT.

Hier also: ROSA.

Als sich der dicke Bub zum schönen Jüngling hungerte, zog es ihn nach Rom.

Am Tag paukte ich bei «Dante Alighieri» italienische Vokabeln. Abends setzte ich die Theorie in die Praxis um.

Ich liess mich auf der Via Veneto feiern. Das war damals der rote Teppich der Welt. Prompt wurde ich hier von einem Taxifahrer entführt. Er sollte mich in die Pension bringen. Er fuhr jedoch auf holprigen Steinwegen hinter die Stadtmauer.

Ich protestierte hysterisch: «DAS IST NICHT MEINE STRASSE!»

Klar. War es nicht.

Es war die Via Appia Antica – ein Weg, auf dem schon bei den alten Römern die Post abging.

Der Fahrer forderte mich auf auszusteigen.

Verstreut standen zwischen abgehackten Marmorsäulen und verwitterten, römischen Wegsteinen Autos herum.

Alle zitterten.

Alle wippten.

Immer rauf und runter.

Bald wippte auch unser Wagen.

«Lamantino … Lamantino», keuchte der Chauffeur in Ekstase. Er roch nach Mundpastillen und einem billigen Deo …

Das kühle Nordlicht aus der rosigen Stadt fühlte sich über so viel heisses Temperament geschmeichelt.

Mit lautem Stöhnen heizte ich den Fahrer an. Und registrierte stumm sein enthusiastisches Kompliment: «Lamantino … Lamantino».

Okay. Ich hatte erst ein halbes Semester hinter mir. «Lamantino» war noch nicht an der Reihe gewesen.

Aber «Lamantino» tönte nach Amante … Amare … TOTAL HEISS – nun ja, so ungefähr: «Du machts mich verrrückt, Baby … du rockst mich rasend.»

Da wollte ich mal nicht so sein.

Und legte noch einen Zacken zu.

DER TAXICHAUFFEUR BRACHTE MICH FRÜH MORGENS NACH HAUSE. ER BERECHNETE NUR DIE HALBE FAHRT.

In meiner Bude angekommen, blätterte ich hektisch im «Langenscheidt».

Und fand:

«Lamantino – die Seekuh».

ES WAR ENTTÄUSCHEND.

Wurde dann aber: die rosa Seekuh.

Geburt am heissesten Hundstag …

Es war an einem Hundstag. Man sagt: Schöne Kinder kommen an heissen Hundstagen zur Welt. ICH WAR EIN BESONDERS SCHÖNES KIND. Denn es war ein besonders heisser Hundstag.

Sie stoppten beim grossen Platz die Strassenbahn und holten den Tramführer aus seiner Kabine: «Ein Sohn … es ist ein Bub … sie haben es eben auf der Zentrale durchgegeben, Karl!»

Später hat mein Vater an Geburtstagen und Familienfeiern bei Kaffee und Schnaps immer dieselbe miese Geschichte aufgetischt: «Es herrschte eine Hitze, dass dir der Sack abdörrte. An den Endstationen warteten freiwillige Helferinnen mit Kannen voller gekühltem Lindenblütentee auf die durstigen Tramwagenführer. Natürlich wollten die Arbeitskollegen dann die Geburt meines Stammhalters feiern. ABER BESTIMMT NICHT MIT LINDENBLÜTENTEE! Also spendierte ich im ‹Braunen Bären› ein paar Runden …»

Es müssen mehrere Runden gewesen sein. Aber das sah mein Vater in seiner Geschichte nicht so eng.

ER SCHAUTE MICH JETZT VERKLÄRT AN: «Als ich zu deiner Mutter kam, stand ich – zugegeben! – etwas schräg neben den Schienen. Die Stationsschwester guckte entsetzt auf – ein heisses Weib mit einem Busen prall wie Wassermelonen. Sie wollte mich auf gar keinen Fall in diesem Zustand zu Carlotta lassen. Aber wer kann schon deinem Alten widerstehen, Andrea – eben! Natürlich waren schon alle da – der ganze Verein deiner Mutter. Sie stierten auf mich, wie auf den Floh im Pelz. ALLES STUMME AUSRUFEZEICHEN! JEDER EIN BRÜLLENDER VORWURF, OHNE DASS JEMAND ETWAS GESAGT HÄTTE. Deine Grossmutter und die alte Marschallin versprühten später dann Schwefel und Galle – ach Gott, du kennst ja diese unbefriedigten Giftschleudern. Ich schleimte mich mit meinem geölten Charme durch. Und legte deiner lieben Mutter einen Strauss mit roten Rosen auf die Bettdecke. Dann schälte ich das rosig verpackte Wollbündel ergriffen aus ihren Armen …»

WAR ER AN DIESER STELLE DER GESCHICHTE ANGEKOMMEN, SCHLOSS VATER DIE AUGEN: «Ich weiss noch, dass mir ganz schwindlig wurde – das war nicht das Bier. Es war rosiges Glück. Mir war nämlich sofort klar: Dieser zarte Wollbündel-Andrea ist etwas ganz Besonderes – aus dem mache ich einen Skirennfahrer. Oder zumindest einen Bundesrat!»

Dann endete er die Erzählung immer abrupt: «Ich habe brav deine Mutter geküsst. Und danach drei Mal die Oberschwester flachgelegt. So schlimm kann es mit dem Bier-Absturz also nicht gewesen sein …»

Mutters Version tönte nach lauten Protesten dann etwas anders: «Ach Andrea, dein Vater war sternhagelvoll, als er endlich im Spital aufkreuzte. Er stank wie ein explodiertes Bierfass. UND ER HAT DIE ALTE MARSCHALLIN DOCH TATSÄCHLICH IN DEREN FETTEN HINTERN GEKNIFFEN!»

Carlotta drehte die Augen himmelwärts: «BLUMEN? Welche Blumen denn! Das wüsste ich … von wegen Rosen! Und von wegen irgendetwas flachlegen!»

Sie wandte sich mit einem spöttischen Lachen an meinen Vater: «Der Einzige, der flach lag, warst du, mein Lieber …»

Sie blinzelte mir nun zu: «ER KONNTE KAUM NOCH STEHEN, ANDREA! Nein. Da stand gar nichts mehr. Er wickelte drei durchgewelkte Nelken aus einer Papierserviette mit Frikadellen-Fettflecken. Die Nelken muss er im ‹Braunen Bären› aus einem Tischväschen gezogen haben. Und du weisst ja: Wenn ich eine Blume nicht ausstehen kann, dann Erika oder diese krausen grauseligen Nelken. Schleppe mir nie so einen Gräuel aufs Grab an!»

Sie lachte jetzt hell auf: «… und apropos Prophezeiungen! Als er dich sah, rief er nur: ‹Ein verdammt dicker Bengel! Bist du auch ganz sicher, dass es unsrer ist, Carlotta?›»

Sie seufzte: «Das mit deiner geplanten Karriere zum Bundesrat kam erst Jahre später, als du eine Betragensnote -3- und den Vermerk ‹Gibt zu Tadel Anlass› nach Hause brachtest.»

Stimmt. Daran erinnere ich mich: «Andrea kommt ganz nach mir. Ein Kämpfer. Ein Revoluzzer. Er wird die Welt aus den Angeln heben …», so hatte mein Vater damals das Zeugnis enthusiastisch interpretiert. Und die Verwandtschaft über den jüngsten Anarchisten der Familie informiert.

Er sollte recht behalten: Ich hob die Welt aus den Angeln.

ALLERDINGS NICHT SO, WIE ER SICH DAS VORGESTELLT HATTE.

Die Freundinnen

Mein Vater mischte die Frauenwelt auf – so wie die Veganer den Salat. Wahrscheinlich ist das ein falsches Bild.

ABER IHR WISST, WAS ICH MEINE.

Don Juan war ein Tiefkühl-Hecht neben ihm – sofern wir so etwas überhaupt miteinander vergleichen können.

«Deine arme Mutter!» – heuchelte die Umgebung genüsslich. Und war heiss darauf, das Neuste über seine Affären zu erfahren.

NUR: «Das arme Kind!» – so etwas hat nie jemand gesagt.

Dabei hatte das Kind ununterbrochen mit Vaters Frauen zu tun gehabt. Sie fütterten den Kleinen mit Bestechungs-Schokolade. Jede seiner Liebsten wollte auch beim Sohn die «liebste» sein. Und so brachte Andrea bereits mit acht Jahren 20 Pfund Übergewicht auf die Knochen.

Waren wir mit einer der Frauen, die ich «Tanten» nennen sollte, auf Reisen, flüsterte mein Vater mir im Hotel zu: «Du darfst ein Zimmer ganz für dich alleine haben, Andrea. Die liebe Tante schläft bei mir. Ist das nicht schön? – Sag’ aber der Mammi nichts davon!»

War es schön? Ich wusste es nicht. Ich war vollgepumpt mit stummen Fragezeichen. Und mit Frustfressen.

Carlotta waren die Nebenfrauen ihres Alten so ziemlich egal.

Das Kind jedoch tat sich schwerer mit der Situation. Es war ein logistischer Seiltanz, sämtliche Weiber mit Namen und Marotten auseinanderzuhalten. Selbst Vater stürzte da mitunter ab. Und schon war das Drama im Gange.

VIELE JAHRE SPÄTER SOLLTE MICH DIESER VATER EINE «DRAMA-QUEEN» NENNEN – ABERE RWAR ES, DER SCHON FRÜH DEN DRAMATISCHEN KERN IN MIR GESETZT HATTE.

Der Bub musste die Weiber des Vaters also «Tante» nennen – Tante Betty. Tante Trudy. Tante Gerti … es wurden immer mehr.

Mein Vater stammte aus der Nicht-Wegwerf-Generation. Er hielt seine Freundinnen bis zum bitteren Ende bei sich. Ein Verlassen gab es nicht – als Entschuldigung galt nur der eigene Tod.

Eine einzige Frau, eine seiner politischen Weggenossinen, hatte den Mut, sich von ihm zu lösen. Als er die politische Giftspritze nach dem Tode meiner Mutter nicht heiraten wollte, kehrte sie ihm den Rücken zu: «Gut. Das war’s!»

«Verräterin» – brüllte mein Vater gekränkt. Und zu uns: «Sie ist tot für mich. Erwähnt diesen Namen nie mehr in meiner Gegenwart»

Die Totgesagte hat ihn dann viele Jahre überlebt. Totgesagte leben immer länger.

Manchmal musste ich mit den fremden Tanten in die Ferien fahren. Nur Papa. Die Tante. Und ich.

Meine Mutter wusste Bescheid. Aber nie hätte sie wegen des Hotelzimmers nachgefragt.

Als ich sie nach 30 Jahren auf einem langweiligen Flug nach Los Angeles endlich löcherte: «Geht dir das Fremdgehen deines Hallodri eigentlich nie an die Nieren?», da schaute sie nur erstaunt von ihrer Illustrierten auf: «Weshalb sollte es das? Ich bin seine Frau. Die Nummer eins. Und er muss sich bei anderen Frauen eben bestätigen … das ist alles. Kannst du mir mal die Luft abstellen …?»

Ich drehte an der Düse. Und war mir nicht sicher, ob Carlotta sich nicht selber belog.

Tatsächlich war meine Mutter mit allen Gespielinnen ihres Mannes gut befreundet. Und tatsächlich schienen seine Affären sie kalt zu lassen. Sie waren es nicht wert, thematisch aufs Tapet gebracht zu werden.

So kam es immer wieder vor, dass eine der «Tanten» mit verheulten Augen vor unserer Haustüre aufkreuzte.

Die Frau warf sich schluchzend an Mutters Brust: «Carlotta – er ist schon wieder mit dieser Lilly weg. Mit mir ging er noch nie ans Meer. Ich hasse ihn …»

«Ja, ja», seufzte Mutter. Und versuchte das heulende Elend von sich abzuschälen, «ja,ja – du armes Mädchen! Du tropfst meinen neuen Kaschmir-Pullover voll, Liebes!»

Abends knöpfte sie sich dann ihren Alten vor: «Es geht nicht an, dass du Irmgard einfach links liegen lässt … du musst da diplomatischer vorgehen, Karl!»

«Ja Carlotta …», seufzte mein Vater ergeben. Und dankbar: « … du bist einfach die Beste!»

Zwei Wochen später fuhren wir dann ans Meer – Papa. Ich. Und Tante Irmgard.

Das uneheliche Kind

Karl wurde als uneheliches Kind geboren. Das war zu jener Zeit eine ziemlich miese Kiste. Fürs Kind. Und für die ledige Mutter.

Johanna, meine blutsverwandte Grossmutter, gab meinen Vater zur Adoption weg. Ihre ebenfalls uneheliche Tochter Antoinette, behielt sie jedoch für sich.

Meine Tante kam 17 Jahre nach ihrem Bruder zur Welt. Und vermutlich hatte Johanna ein unbeschwerteres Verhältnis zu ihr, als zu ihrem Sohn, den sie – selbst fast noch ein Mädchen – hätte aufziehen sollen.

«Da hast du das Problem deines Vaters!», erklärte Carlotta mir auf dem ellenlangen Flug, als ich ihr die kalte Luft abgestellt hatte.

«Die eigene Mutter gibt den Sohn weg. Ihre Tochter hingegen behält sie. So etwas kratzt am Ego eines Mannes. Da musste Karl doch einen an der Waffel kriegen …»

Carlotta verlangte bei der Hostess nach einem weiteren Gin. Dann wandte sie sich wieder mir zu: «Ist dir aufgefallen, dass dein Vater unter all seinen Freundinnen nie eine junge wählt? Ich meine: keine dieser knackigen Tussis. Keine Blondine mit Schmollmund, Bardot-Busen und manikürten Nägeln. Nein. Immer diese stämmigen Muttertypen mit Hüften wie Preiskühe und einmal Dauerwellen im Monat …»

Sie machte eine Pause.

«Im Grunde genommen sind es alles miese Besen. Optisch – meine ich. Karl sucht keine Geliebte. Sondern seine Mamma. Er will, dass seine Freundinnen für ihn da sind. Dass sie ihn nicht verlassen – nicht so, wie seine Mutter ihn verlassen hat. DEIN VATER MÖCHTE NICHTS ANDERES, ALS VON EINER MUTTER GELIEBT WERDEN! Schnallst du’s?».

Ich schaute Carlotta unsicher an: «Also du bist weissgott nicht der Muttertyp!»

«Eben», lächelte sie, «eben. Das macht es für ihn noch schwieriger. Und für mich etwas einfacher …»

Mésalliance

Carlotta merkte schon bald, dass die Heirat mit Karl ein Fehler gewesen war. Ihre Familie tobte: «eine Mésalliance … wo sie doch einen Bankprokuristen hätte haben können! Aber nein. Es musste ja dieser billige Mini-Macho mit der lauten Tramschelle sein.»

Lucrezia war ausser sich. Und versuchte Carlotta zur Raison zu bringen.

Lucrezia – oder «Luggi», wie man sie nannte – war die Grossmutter der «besseren Seite». Sie hatte das Sagen. Sie hatte auch das Geld.

Die Omama kam aus so etwas, was man früher «einen fetten Stall» nannte. Die Familie machte ihr Vermögen mit verschiedenen Unternehmen – eines davon war ein «Sarg- und Kranzgeschäft».

Als ich 32-jährig erstmals an der Herbstmesse meiner Stadt einen Stand betrieb, stand Omama Luggi plötzlich davor.

Sie durchbohrte mich mit ihren eiskalten Fischaugen: «Drei Tische weiter vorne hat deine Urgrossmutter Hortense-Maria noch Totenhemden verkauft. Und Glasperlenkränze.»

Die Omama schaute verächtlich auf meinen Glimmerkitsch: «Die Welt dreht sich immer wieder zurück … aber es ist gut, dass die Marschallin deine Barockoper hier nicht mehr miterleben muss: rosa Gartenzwerge für den Weihnachtsbaum – ich bitte dich!»

Das Vermögen der Mutterseite basierte also auf Totenhemden, Sargkissen, Beerdigungskränzen und drei Friseursalons. Daneben führte die Familie zwei Restaurants, eine Mercerie mit hunderterlei Knöpfen und Nähfäden von kalkweiss bis rabenschwarz. Dazu dann auch: den ersten Fahrbetrieb im Landkanton.

Hortense-Maria beschäftigte noch Kutscher mit Holz-Chaisen und einem halben Dutzend Pferden. Meine Grossmutter hat nach dem Tod der «Marschallin» – so nannten alle die Ur-Omama, eine eiserne Stahlbürste, die kälter war als die Leichenschubladen in den Totenhallen – nach dem Tod der Marschallin also hat Omama Luggi die ersten Autos aus Frankreich eingeführt.

Die Omama gab immer dick damit an, sich als jüngste Frau ihres Kantons per Auto von Aesch bis Basel fortbewegt zu haben.

«Das war kein Auto, meine Liebe – das war ein Besen!», warf mein Vater dann bissig ein.

«KARL!» – bellte meine Mutter scharf. Und musste ihm insgeheim recht geben. Denn zwischen Mutter und Tochter herrschte das, was man in der Seemanssprache «ein konstantes Sturmtief» nannte. Doch die Omama war der Kapitän auf dem Kahn. Und hatte das Sagen.

Carlotta hatte den Unternehmensgeist ihrer Mutter stets contre cœur bewundert: « … die Städter mieteten die Autos bei ihr auf dem Land, weil sie die Preise der Stadtkonkurrenz in den Keller fuhr. Sie unterbot alle. Deshalb nannte man sie auch die ‹Tauchente der Region›».

Aber ich muss achtgeben, dass wir uns hier nicht verplaudern.

Auf die Frauen der Mutterseite kommen wir später noch zu sprechen. Diese Frauen stellten nämlich den Mann – sie waren stark bis ins vierte Glied. Ihre Gatten waren Begattungsmaschinen – mehr nicht.

Die weiblichen Vorfahren der Mutterseite heirateten nur schwache Männer. Weicheier – oder wie es heute heisst: Warmduscher.

Sie hatten die Pflicht, Nachwuchs zu zeugen. Basta. Zu sagen hatten sie nichts. FRAUENPOWER GAB AUF JENER FAMILIENSEITE KLAR DEN TON AN – dies lange bevor die Damen überhaupt ein offizielles Stimmrecht hatten.

In ihrer kleinen Welt waren sie schon lange die alleinigen Herrscherinnen. Und betrachteten die Männer nur als unnötiges Übel für die Fortflanzung.

Der O-Ton von Grossmutter Luggi tönte etwa so: «Ihr tanzt gefälligst nach dem Takt jener Hand, die euch füttert …!»

Und so wie Luggi ebenfalls nach der Pfeife ihrer Mutter Hortense-Maria tanzen musste, erwartete sie, dass der Pfeifentanz bei ihren Töchtern später weitergehen würde.

Es war dann immer dasselbe: Dieselben Frauen, die sich von keinem Mann etwas sagen liessen und vor keinem kuschten, duckten sich stets verängstigt vor ihren strengen Müttern.

Bis eben auf Carlotta …

Carlottas Ausbruch

Carlotta hatte einen Kopf, den der liebe Gott aus Hartzement angerührt haben musste: SIE LIESS SICH NICHTS SAGEN.

Sie liess sich nicht zwingen (schon gar nicht zu einer passenden Ehe mit einem langweiligen Bankprokuristen).

Sie liess sich nicht beugen. Und sie verzichtete auch gelassen aufs Erbe, als ihre Mutter Lucrezia tobte: «Keinen Centime für meine Tochter … auch keine Aussteuer! Wollen doch sehen, wie sie so mit diesem roten Schellenhund über die Runden kommt!».

Grossmutter Luggi hatte ihre Tochter also «enterbt». Und den verhassten Schwiegersohn bis zu ihrem letzten Atemzug «diesen roten Hund» genannt.

Vater politisierte zu seiner Jungmannenzeit in der linken Sozialisten-Ecke. Seine Schwiegermutter kommentierte das einmal so: «Wer Leichenhemden verkauft hat, der weiss, dass am Schluss alle gleich sind, Karl … aber die Sozialisten gehen stets einen Zacken bissiger als die übrige Menschheit aus dieser Welt. Selbst auf den Sargkissen zeigen sie noch dieses besserwisserische Lächeln: ‹Denen haben wir’s aber gezeigt!›»

ES HERRSCHTE KRIEG ZWISCHEN DEN BEIDEN FAMILIEN. Obwohl mein Vater donnernde Reden für den Weltfrieden schwang, feuerte er konstant verbale Kanonenschüsse auf die verhasste Verwandtschaft seiner Carlotta ab: «Alles verdammte Rechtswixer und Kapital-Vampire, die sich am Blut der Arbeiter gesundsaugen …»

NATÜRLICH WAREN DIES NICHT DIE TÖNE, BEI DENEN DIE MUTTERSEITE IN EIN HALLELUJA EINSTIMMTE.

Alle und jeder versuchten Carlotta die «unpassende Heirat» aus ihrem Hartschädel rauszuhämmern … Aber Verbot und Lamento stachelten den Trotz meiner Mutter nur noch mehr an.

Sie wollte den gut aussehenden Schellentramper – so wie damals die roten Schuhe, die sie sich als Kleinkind erzwängt hatte. Oder ihr eigenes Pferd, das aber golden braun sein musste.

«Ich habe meinen Kopf immer durchgesetzt – ich habe dann aber auch stets die Konsequenzen getragen, Andrea. Die roten Schuhe drückten. Ich holte mir blutige Zehen. Aber ich trug sie eisern. Das Pferd warf mich fünf Mal ab. Ich ritt es trotzdem jeden Tag aus …»

«Und Karl?» – fragte ich sie.

Sie überlegte kurz:

«Ach Andrea – ich wollte einfach von meiner Familie weg – weg von der Marschallin. Weg von Mamma Luggi – weg von ihren engen Korsetts, in die sie uns junge Mädchen schnürten. Die Heirat bedeutete Freiheit für mich. Und ich wählte deinen Vater, weild e rStoff besser einfuhr als alle Drogen … vor allem ist Karl amüsanter als jede Linie Koks. Überdies ist er auch einfacher zu bekommen. Die Geschichten deines Vaters haben mich immer zum Lachen gebracht. Sie tun es heute noch. Lachen bringt in einer Ehe schon viel …»

Gerne hätte ich jetzt von ihr die Frage gehört: « … und wie gehts eigentlichd i rso in unserm Zirkus?»

Doch wie gesagt: Das Kind war auch auf dem langen Flug an die Westküste kein Thema.

WAR ES NIE.

Der Bub war einfach da. Mit all den seltsamen Vorzeichen, die schon früh die Alarmglocken bei biederen Bürgern bimmeln liessen. Und die meine Mutter genauso wenig störten wie die sexuellen Trippelsalti ihres lustigen Gatten.

Die Mutter betrachtete Ehemann wie Sohn als nette Nebensächlichkeiten. Sie ignorierte beide auf ihre freundliche Art. Und dies, obwohl der Bub schon damals eine gigantische Seekuh war – und das Rosa kaum zu übersehen.

Eine echte und eine falsche Grossmutter

«Johanna» – dieses Thema blieb in der Familie ein Tabu.

«Johanna? – Kenne ich nicht!», sagte mein Vater jeweils steif.

IN DIESER BEZIEHUNG WAR ER STUR. SEINE MUTTER EXISTIERTE NICHT.

Damals, als sie ihn zur Adoption weggab, löste sie sich für den kleinen Bub in Luft auf.

Immer, wenn Karl mit jemandem Probleme hatte oder die Person ihn enttäuschte, liess er solche Figuren sterben: «… ich will den Namen nie mehr hören! Die Person ist tot», so grollte Karl auch, wenn wir etwas über seine richtige Mutter wissen wollten.

Es war wieder Carlotta, die sich der Sache diplomatisch annahm.

An Muttertagen und auf Weihnachten hin schickte sie Johanna Blumen – natürlich ohne es meinem Vater zu sagen.

Eines Tages rüstete sie mich nett aus: Samthöschen … weisses Hemd mit Rüschekrägelchen … Schlips … EIN BISSCHEN WIE EINE BAUCHREDNER-PUPPE.

«Es ist deine ‹echte› Grossmutter – sie will dich einfach einmal sehen», erklärte mir Carlotta unterwegs.

Für mich gab’s nur die Kembserweg-Omi.

Ich schnallte nie so richtig, dass DIE OMI mit uns nicht blutsverwandt war. Das hatte für mich auch keine grosse Bedeutung. Die Kembserweg-Omi hatte ein Herz riesig wie ein Elefant. Sie schenkte mir all diese Wärme, die man als kleiner Junge braucht. Und die man in unserer Familie kaum fand.

Sex gab’s genug.

Aber die Herzen lagen auf Eis.

Die Kembserweg-Omi taute mich immer wieder auf.

WAS SOLLTE DA NOCH EINE «ECHTE» GROSSMUTTER DANEBEN?

Eine Frau, mager, mit strähnigem Haar und dicker, gespaltener Unterlippe kam in einer Pferdemetzgerei auf mich zugewackelt.

Die echte «Grandmère» arbeitete hier als Haushälterin – und meine glänzenden Lackschuhe sowie der giftgrüne Schlips sahen in der miefigen Schlachterei mit dem blutroten Rossfleisch ziemlich daneben aus.

«Mon petit chérie … mon chouchou … mon très, très chère …», wehte die Frau mit ausgestreckten Armen schluchzend auf das Kind zu. Sie hielt inne. Schneuzte sich in den Ärmel. Und schaute meine Mutter fragend an: «Wie heisst er?»

«Andrea».

«MON AMOUR SUCRÉ, MON BEL ANDRÉ …» Sie jubelte jetzt.

Und mich schauderte.

Die dicke Lippe tropfte immer näher. Sie schlabberte über mich hinweg wie ein nasser Badeschwamm.

Ich wand mich kreischend unter der gefühlsvollen Dauerbrause: «Sie soll aufhören …»

«Es reicht jetzt, Madame», lächelte meine Mutter freundlich.

Sie übergab der dürren Frau ein Stöckchen mit Parma-Veilchen: «Ihr Sohn lässt Sie grüssen …»

«Ohhhh …», flennte der Karpfenmund erneut, «ohhhh … le petit Charles me manque tellement …»

Das von Karls Grüssen war natürlich diplomatsch gelogen.

Das «il me manque …» auch.

Der unbekannte Grossvater …

Einige Jahrzehnte später versuchte ich zusammen mit meinen Cousins (die drei Kinder von Antoinette) die dunkle Geschichte unserer gemeinsamen «echten» Grossmutter auszuleuchten. Die Cousins, die einen bessern Draht zur «Grandmère» pflegten als «unsere» Seite, hatten immer wieder Fragen nach ihrem Grossvater gestellt. Sie stiessen aber bei der Schlabberlippe nur auf stures Schweigen. Die Fragen wurden einfach überhört …

Eines haben wir immerhin herausgefunden: Die richtige Grandemère war nach dem Ersten Weltkrieg als blutjunges Mädchen zusammen mit ihren beiden älteren Schwestern von Lyon in die Schweiz gereist. Ihr Vater, unser Urgrossvater also, war Hotelier in der Stadt an der Rhone. Für seine drei jungen Töchtern hatte er in Mürren den «goldenen Löwen» als Existenzgrundlage erworben. Das Ganze war ein uralter Hotelkasten, dessen Glanz abblätterte. Der Mann aus Lyon setzte jedoch auf die touristische Zukunft des Alpenlandes.

Für die drei Mädchen muss es eine frohe Zeit gewesen sein – frische Luft, gute Milch, der stimmungsvolle Sonnenuntergang hinter den Bergen – dies alles tat seine Wirkung. Zumindest bei Johanna. Sie wurde sofort schwanger.

Das ganze Dorf kannte den Vater des Kindes. Der ganze Ort wusste auch 17 Jahre später, dass der Schwängerer wieder zugestupft hatte. Aber das ganze Dorf war so stumm wie ein Stück Berg, wenn es um Johannas Schwangerschaft ging. Keiner sagte ein Wort. Nur: «Ja, ja – die Johanna. Sie war ein lustiges Mädchen …»

OKAY SO VIEL WUSSTEN WIR ÜBER DIE ECHTE GROSSMUTTER AUCH SCHON. Doch mehr konnten wir nicht herausfinden.

Um die Grandmère aus Lyon schwebte ein Geheimnis wie die Schlechtwetter-Wolke um den Niesen. Ihre ewige Liebe zu diesem unbekannten Mann hatte etwas Mysteriöses. Und liess unsere Fantasie galoppieren: «Der Grossvater – ein hohes, politisches Tier? … vermutlich, neins i c h e rverheiratet! Vielleicht auch ein berühmter Bergführer? Oder ein sechsfacher Frauenmörder?»

«Ich will nichts davon wissen …», nervte sich Karl, wenn wir ihn drängten, Näheres zu erforschen. «Die Frau ist für mich tot. Ihr Behupfer auch.»

«Ihr Behupfer» war immerhin sein Vater.

Meiner Mutter genügte das nicht. Sie fuhr als junge Frau zu den beiden ledigen Tanten nach Mürren. Carlotta wurde im Hotel freundlich von ihnen empfangen. Aber ebenso freundlich wieder verabschiedet – ohne dass sie irgendetwas herausbekommen hätte. Die Schwestern hatten Johanna, als das «Malheur» offensichtlich wurde, nach Basel in eine Stellung weggeschickt.

Das Geplänkel mit dem geheimnisvollen Liebhaber aus der Bergwelt muss aber auch am Rheinknie eine Fortsetzung gefunden haben. Jedenfalls wurde Johanna 17 Jahre nach der Geburt meines Vaters erneut schwanger. Wieder vom grossen Unbekannten. Diesmal wurde es ein Mädchen: Antoinette.

Dieser zweite «Absturz» brachte die beiden Schwestern dann zünftig in Rage: «Für uns ist sie tot!», erklärten die beiden Frauen dumpf zu Carlotta.

Diese Worte kamen ihr ziemlich vertraut vor. Sie mussten in den Genen jener Seite stecken. Immerhin hat «die Tote» ihre Schwestern überlebt. Und von ihnen auch das Hotel geerbt.

Damals verlor Carlotta für einen kurzen Moment die Contenance. Die geschäftstüchtige Ader pochte wild. Entsprechend fauchte sie meinen Vater an: «Ein Hotel ist nichtn i c h t s,Karl! Und Johanna ist deine leibliche Mutter. dein sturer Grind bringt dich da um ein Vermögen. Gehe hin – mach endlich Frieden!»

«Sie ist tot für mich, Carlotta. Ich will den Klotz nicht. Und ich will den Namen nie mehr hören!», knurrte der.

Und dann etwas lahm: «Das Geld, das wir haben, reicht gut für uns drei …»

Wir?

CARLOTTA HATTE DIE KNETE!

Aber so etwas sah mein Vater nie so eng.

Er ging dann auch nicht zur Beerdigung seiner Mutter.

Carlotta tauchte dort auf. Sie hatte einen Kranz geschickt: «In ewiger Liebe – Dein Sohn Karl und Familie!»

Diplomatisch.

Aber gelogen.

Die Marschallin

«Ich will den Buben begutachten!»

Wenn die Marschallin etwas befahl, blieb die Welt kurz stehen. Schon jagten ihre Töchter herum: «Hortense-Maria will den Kleinen sehen!»

Omama Luggi stieg kurzatmig die vier Treppen zur Dreizimmerwohnung der «Trämlers» hoch. Sie nannte uns nur «die Trämlers». Und es musste schon einen wichtigen Grund haben, dass sie hier aufkreuzte und die hölzernen Stufen hochkeuchte.

Sie griff sich an den schaukelnden Busen: «Mein Herz … mein Herz …» stöhnte sie. Und verlangte nach einem Schluck Champagner.

«So etwas führen wir nicht. Das ist ein Rechtswixer-Gesöff!», polterte mein Vater. Und dann gab er gleich noch eine Ladung drauf: «für deinen Eisklumpen von Pumpe tut’s auch ein Bier!»

Omama Lucrezia übersah ihren Schwiegersohn wie immer. Sie schaute anklagend zu ihrer Tochter: «Wenn ich denke, welche Partien du hättest machen können – Carlotta. Aber nein: vierte Etage – ohne Lift. Und ohne Champagner. Aber du hattest ja schon immer den sturen Grind eines Esels …»

Dann etwas abrupt: «Die Marschallin erwartet den Kleinen und dich zum Mittagessen im Rapperswiler Altersstift …» Sie fischte aus ihrer Tasche ein Coramine-Bonbon. Und warf es ein.

Mich hatte sie gar nicht beachtet.

Nun schickte sie einen schrägen Blick auf meine Samthose und den Pullover in den Regenbogenfarben: «Das Kind würde ich für den Besuch umspritzen, Carlotta. Hortense-Maria ist nicht der Regenbogen-Typ – du weisst was ich meine …»

Mutter wusste es.

Auf der Zugfahrt nach Rapperswil malte mir Carlotta ihre Grossmutter in den schillerndsten Farben aus: «Sie war eine grossartige Geschäftsfrau, Andrea. Sie hat überall Land aufgekauft. Und die Preise so tief runtergehandelt, dass man sie ‹den Totengräber› nannte …»

Lebt sie in einem Schloss?

Carlotta seufzte: «Schön wär’s. Sie hat fast all ihr Geld verloren. Zuerst hat sie es Onkel Sepp zugeschoben … dann … aber das ist jetzt nicht interessant …!»

UND OB DAS INTERESSANT WAR!

Eine Marschallin, die ihr Geld verplemperte.

Mir wurde von der Frauenseite stets eingepaukt, zu jedem Centime Sorge zu tragen. Diesen in die eiserne Sparbüchse mit dem Zackenschlitz zu werfen. Und alles auf die Bank zu tragen. So würde sich der gesparte Segen einst wunderbar vermehren … Wie vertrug sich solches Denken mit einer bankrotten Urgrossmutter?

Mein Vater hat mich später einmal genüsslich aufgeklärt: «Also sie war eine Männer verschlingende Schlampe. Und sonst war sie gar nichts. Gut. Sie wusste, wie man Geld machte – das hat sie aber alles deinem Grossonkel Sepp in den Arsch gesteckt. Sepp hinten. Sepp vorne …»

«Wer war Sepp?» – habe ich später Omama Luggi bei einem Besuch gefragt.

DIESES MAL ÜBERSAH SIE MICH NICHT.

Sie ging ab wie eine koreanische Weitstreckenrakete: «Wer hat dir von ihm erzählt?»

«Er bekam’s hinten und vorne zugesteckt …», erklärte ich altklug.

Die Omama warf die Augen zum Himmel. Und schaute meine Mutter anklagend an: «Ich erkenne den penetranten Jargon der Tramschelle …»

Sie wandte sich zu mir. «Deine Urgrossmutter, die Marschallin, kannte nur zwei Dinge im Leben, die ihr Spass gemacht haben: GELD UND MÄNNER. Wir Töchter mussten kuschen – aber unserm Bruder hat sie alles erlaubt. Und ihm das Geld aus vollen Händen nachgeworfen. Josef durfte alles. Und konnte nichts …»

Sie fauchte nun wie eine Raubkatze vor dem Feuerreifensprung: «Unser Bruder war Norma und mir in allem total unterlegen – weiche Birne. Kein Mumm. Ein Schlappschwanz. Dazu arrogant. Und strohdumm, was ja meistens zusammengeht …»

Sie seufzte jetzt: «aber natürlich wurde ER gefördert. Und weshalb? Weil er ein Mann war. Gelernt hat er gar nichts – dieser seidige Dandy fand sich ja zu fein, seine manikürten Nägel an so etwas wie Arbeit zu verschwenden. Eine Friseurlehre hat er abgebrochen. Und fuhr danach ein halbes Jahr an die italienische Riviera. Um dort die Sau rauszulassen …»

Luggi liess jetzt das ganze Josef-Gewitter über Andrea ab: «‹Er muss sich erholen. Er ist zu zart für einen Beruf›, hat die Marschallin ihn ein Leben lang entschuldigt. Und diesen madigen Kotzbrocken mit Banknoten auswattiert. UND WIR MÄDCHEN? Wir bekamen einfach nichts. Null. Nada. Dabei musste ich als junge Witwe vier Schnäbel durchfüttern. ER ABER PRESSTE SIE AUS WIE EINE WÄSCHEMANGEL DIE LEINTÜCHER. Und als ich ihn einmal anging, ob er mir für ein Stück Land nicht etwas Geld leihen könne, nannte er mich ‹eine Bettlerin!› EINE BETTLERIN! …» Luggis grosser Busen wogte jetzt vor Empörung wie ein Meerbeben auf und ab.

Und dann?

Sie warf mir einen triumphierenden Blick zu: «Merke dir eines, mein Kleiner – Hochmut kommt vor dem Fall. Dein Grossonkel lebte vom Geld seiner Mutter. Und dies in Saus und Braus. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie er mit Hunderternoten seine Zigarren angezündet hat, während ich als junge Witwe nicht wusste, wie ich die Familie durchkriege …»

Sie schüttelte sich vor Ekel und Zorn: «Ich musste damals ziemlich untendurch. Ich musste eine neue Existenz aufbauen, weil der Marschallin die Nase deines Grossvaters nicht gepasst hatte … aber ihrem angebeteten Josef hat sie ein Vermögen nachgeworfen!» Wieder zitterte sie vor Empörung.

Dann fuhr sie plötzlich eiskalt fort: «Gottlob hat er sich umgebracht. Mit einem Rasiermesser. Dies alles alleine und verlassen im Wetterhaus von Maloja: KEHLE DURCH. BLUTBAD. FERTIG!»

«Mamman – pas devant l’enfant», flüsterte Carlotta nervös.

Die Omama richtete sich stolz auf: «Aber sicher doch! Der Bub soll das wissen. Er gibt sein Sackgeld eh viel zu grosszügig aus – da steckt ein kleiner Josef in ihm. WEHRET DEN ANFÄNGEN!»

Omama Luggi bäumte sich noch einmal auf: «… und er soll auch wissen, dass die Marschallin ein männerverschlingendes Lustluder war. Immer wieder hatte sie einen neuen Galan – in ihrer lodernden Geilheit kannte sie keinen Benimm mehr. NUR DIE LUST. UND IHRE UREIGENE BEFRIEDIGUNG. Die Männer marschierten aus Armenien, Ungarn oder Albanien an. Diese geölten und gelackten Machos umtanzten die Alte wie Auerhähne. Und …» Omama Luggi schaute mit giftigem Spott zu mir: «Die alte Kuh, die jedes Mal wie ein ausgetrocknetes Strohdach brannte, deine Urgrossmutter, mein lieber Andrea, stopfte ihre Papagalli wie elsässische Mastgänse voll: teure Massanzüge, goldene Zigaretten-Etuis, immer nur Champagner-Frühstück … und alles in der ständigen Hoffnung, einer würde bei ihr bleiben …»

Omama Luggi lachte nun genüsslich auf: «KEINER HAT’S AUSGEHALTEN! Als das Geld weg war, waren auch die Männer weg … der Hausverkauf in Aesch brachte der Marschallin gerade noch so viel, dass sie sich ins Rapperswiler Damenstift einkaufen konnte …»

Sie klopfte mit ihren harten Knöcheln auf meinen Kopf: «… an all das sollst du denken, wenn der Drachen morgen vor dir steht. Spuck ihr vor die Schuhe. Und grüsse den Satansbraten von mir …!»

Zuckererdbeeren und Klunker

«Wer ist Norma?», fragte ich im Zugabteil, das uns auf Samtpolstern an den Zürichsee brachte.

Mutter schob seufzend die Börsenkurse zur Seite. Sie hasste es, wenn man sie in ihren Geschäften störte.

«Also – Norma ist meine Patin, die Schwester von Omama Luggi. Sie hat einen italienischen Conte geheiratet …»

«Was ist ein Conte?»

«Das ist etwas wie ein König. Nicht ganz so hoch. Ein Graf eben und …»

EIN KÖNIG?

Die Kembserweg-Omi las mir immer wieder aus den Märchenbüchern vor. Manchmal erfand sie auch Geschichten mit Schlössern, Regenten und hellblonden Königskindern, die von ihren wunderbaren Eltern mit Seidenfummeln und funkelnden Klunkern überschüttet wurden. Wie oft träumte ich den Traum vom verwechselten Buben. Okay, ich war nicht goldlockig. Meine Haare hatten schon immer die Farbe von angetrocknetem Mist gehabt. Dennoch war mir sehr früh klar: Das rosige Wollpaket gehörte gar nicht zu den Trämlers, sondern in eine Familie, wo bei Tisch an Goldbechern genippt und jedes Murmelspiel mit 20-karätigen Brillanten ausgetragen wurde.

Es gab keinen Zweifel: AN JENEM HEISSEN JUNITAG HATTE EINE SCHRECKLICHE VERWECHSLUNG STATTGEFUNDEN.

Und nun war hier in Italien tatsächlich ein Schloss in Sicht!

«Na ja – es ist mehr ein Gütchen über dem Lago d’Orta. Im Sommer fahren wir mal hin. Dann lernst du den Grafen, Tante Norma und ihre beiden Töchter Lida und Mimmi kennen. Sie sind meine Cousinen … ACH GOTT, MUSS DAS SEIN!?»

Vor der Abreise nach Rapperswil hatte ich meine Mutter gelöchert, mir eine dieser riesigen Zuckererdbeeren zu kaufen. Am Stiel baumelte ein Glasringlein.

DAS KLUNKRIGE STACH MIR SCHON FRÜH IN DIE AUGEN.

Und weil Mutter ihre Ruhe wollte, kaufte sie mir den roten Zuckerschub mit dem falschen Diamanten. Ich streifte den Ring über. Und zeigte ihn stolz dem Fahrkartenschaffner.

Der kommentierte etwas geniert: «Ja, ja – aber ist das nicht mehr für ein Mädchen …?»

Ein knipsender Kleingeist eben.

Genüsslich leckte ich an der Erdbeere, so dass mein Mund feurig rot leuchtete. Das weisse Hemd mit den Rüschenmanschetten sah bald einmal aus, als hätte eine Muttersau ihre Jungen darauf zur Welt gebracht.

«Oh Gott!» – Mutter war zu stark in die Börsenkurse vertieft gewesen. Und hatte vom Malheur nichts mitbekommen.

Nun rubbelte sie mich ab. Sie versuchte zu retten, was nicht mehr zu retten war.

Als ich dann in meinen Samthosen, dem Zuckerbeeren-Rüschenhemd und der Brillantine im Haar der Marschallin den Ring mit dem Glasklunker entgegenstreckte (in der irrigen Annahme, sie wolle die wunderbare Hand ihres Urenkels küssen) erstarrte sie.

Die Alte trug einen schwarzen Rock mit einer Glasperlen-Mantille. Sie stützte sich auf einen Gehstock. Der Griff zeigte einen silbernen Totenkopf. Nun war dieser Gehstock auf mich gerichtet. Er zitterte.

Ich auch.

Und die harten, rot unterlaufenen Gansaugen der Marschallin schauten entsetzt zu ihrer Grosstochter: «Was soll das da, Carlotta?»

«Es ist Andrea, dein Urenkel, Oma.»

SIE ATMETE TIEF DURCH. UND KEUCHTE HEISER: «Bring mir nie mehr so etwas hierher!»

Dann kehrte sich die Person im schwarzen knisternden Seidenrock um. Die Seide fauchte auf wie eine wütende Katze.

Wir waren entlassen.

Ohne Mittagessen.

Im Zug versuchte meine Mutter, ihre Tränen vor mir zu verbergen. Sie schaute aus dem Fenster. Und überdachte wohl so einiges.

Ich versuchte sie abzulenken: «Sie ist eine böse Frau – das hat schon Papa gewusst. Und Omama Luggi sagt auch, sie habe es immer den Falschen reingesteckt …»

Carlotta lächelte nun: «Sie hatte es vermutlich auch nicht immer einfach. Ihr Mann verliess sie nach dem dritten Kind …»

«Papa würde uns nie verlassen …»

«Nein, du Tausendgescheiter …»

Carlotta schaute wieder aus dem Eisenbahnfenster: «Immerhin hat sie Omama Luggi das Leben gerettet.»

Dieser fiese Drache eine Lebensretterin? Da musste meine Mutter jetzt aber eine gute Geschichte raushusten, wenn ein kleiner Junge so etwas glauben sollte.

«Die Omama lag mit 18 Jahren todkrank im Bett. Sie hatte seit Tagen sehr hohes Fieber. Das wollte einfach nicht zurückgehen. Kein Arzt wusste Rat. Da hat deine Urgrossmutter aus ihrem Restaurant eisgekühlten Champagner holen lassen. Und diesen der Kranken eingeflösst …»

Eine ganze Flasche?

Carlotta schaute gereizt vom Fenster zu mir: «Das weiss ich nicht. Aber Tatsache ist, dass die Omama nach zwei Stunden kein Fieber mehr hatte. Die Geschichte wird heute noch an jedem Familientreffen erzählt …»

«Säuft Omama Luggi deshalb jeden Tag eine Flasche von diesem Knallerkorkenzeug?»

Mutter schaute mich streng an: «Deine Grossmutter säuft nicht, Andrea …»

«Papa aber hat gesagt, sie …»

«VERGISS, WAS PAPA SAGT! Und: ja – sie trinkt seit jenem Tag immer eine Flasche Sekt. Nein – eigentlich ist es dieser süssliche Asti Spumante aus Oberitalien. Ein grässlich klebriges Gesöff und …»

Meine Mutter erhob sich plötzlich aus ihrem Plüschsitz. Sie nahm mich in die Arme: «Du bist ein wunderbarer Bub, Andrea – LASS DIR VON KEINEM DAS GEGENTEIL EINREDEN. ABER DU WIRST ES NICHT IMMER EINFACH HABEN!»

Ich löste mich etwas unwohl aus der spontanen Umarmung: «Kann ich daheim eine zweite Zuckererdbeere bekommen? Ich möchte noch einen Ring für die andere Hand …»

Das Schloss

«Norma war ein Luder!» – hörte ich Omama Luggi in unserm Stübchen über ihre Schwester herziehen. «Eigentlich hätte der Graf MIR gehört … aber Norma wusste schon immer ihren Vorteil auszunutzen. Und ihr Vorteil war: Sie konnte die Beine schneller spreizen …»

«Mamma – der Kleine könnte uns hören.»

Vorteil dank Beine spreizen?

DAS TÖNTE JA HEISS.

Aber als ich höchst interessiert im Zimmer erschien, wechselten die beiden Frauen sofort das Thema. Und sprachen über die Maiglöckchen, die viel zu früh kämen.

Mit acht Jahren habe ich dann erstmals das Königsschloss meiner Grosstante Norma besucht. Über dem wuchtigen Eingangstor war ein in Stein gehauenes Familienwappen angebracht. Und überall standen Töpfe mit süsslich duftenden Oleanderbäumen herum.

DAS GAB JA SCHON MAL ETWAS HER.

Grosstante Norma ähnelte Omama Luggi wie ein Ei dem andern. Sie nahm Carlotta in die Arme. Und sie heulte: «Wie lange ist es her … was macht Luggi? Ist sie immer noch böse auf mich?!»

«Sie lässt dich grüssen», log Mutter.

Es war dieselbe Lüge wie damals bei meiner Grossmutter Johanna.

(Ich schnallte schon sehr früh, dass das Fundament der Diplomatie die Lüge war.)

Mutters Cousinen Lida und Mimmi umschwirrten uns ebenfalls. Lida war eine Schönheit. Mein Vater stellte sofort den Kamm. Und schleimte die übliche Anmache: «… dass wir uns noch nie begegnet sind!? Wir haben viel nachzuholen, schöne Frau!»

Mimmi hingegen knetete meine Mutter durch wie einen Hefeteig. Carlotta hatte Gefühlsausbrüche immer gehasst. Also wand sie sich auch hier genervt aus den Armen ihrer Cousine.

Sie hustete künstlich: «Ich bin etwas verkühlt, Mimmi – nicht, dass du dich ansteckst …»

Wir holten unsere Schachteln aus dem Auto – alles vollbepackt mit helvetischen Dingen, die Tante Norma bei ihrem Patenkind bestellt hatte: Landjäger, Maggiwürfel, Basler Klöpfer, Frank Aroma. Und natürlich: Schokolade.

Die Schweizer wurden in den grossen Esssaal geführt. Ein protziger Kronleuchter mit echten Kerzen schaukelte über dem riesigen Tisch. Die italienischen Frauen liessen immer wieder schrille Ausrufe des Entzückens los: «Che belli, che siete! … che bambino carino.»

Dann endlich liessen sie die Pastasciutta auffahren – etwas, das ich bis anhin noch nie auf diese Art gegessen hatte.

Zu meinem Geburtstagt durfte ich jeweils ein Mittagessen wünschen. Kulinarisches Wunschkonzert, quasi. Mein Favorit war: Wienerschnitzel mit Spaghetti Napolitaine …